Unfreiwillige Homöopathie mit bekannten und unbekannten (Neben)wirkungen

Thema Wasser und Gesundheit
Unfreiwillige Homöopathie mit bekannten und unbekannten (Neben)wirkungen
von Klemens Gieles

Foto: Claudia Hautumm

Foto: Claudia Hautumm

Klar, kühl und geruchlos sollte es sein, wenn es aus dem Wasserhahn fließt - unser Trinkwasser. Das sind einige Hauptforderungen, die unsere Trinkwasserverordnung an die Wasserqualität des Lebensmittels Nr. 1 stellt. In weiten Teilen Deutschlands kriegen das die Wasserversorger hin. Eben klar - aber nicht rein.

Doch was passiert eigentlich mit all den Medikamenten und ihren Abbauprodukten, die wir in unsere Kläranlagen entlassen? Was eigentlich geschieht mit ihnen, wenn sie in den Klärbecken aufeinander treffen?

Keiner weiß es und deshalb ist jeder von uns gefragt, seine Medikamenteneinnahme nicht nur unter dem Aspekt der Nebenwirkungen am eigenen Körper zu hinterfragen sondern auch unter dem Aspekt der Auswirkungen auf die Umwelt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie auf dem Trinkwasserweg wieder in unsere Körper gelangen können.

Auswirkungen auf die Umwelt sind bekannt. So wirken hormonaktive Substanzen aus Weichmachern und weibliche Hormone aus der Antibabypille (Ethinylestradiol) auf männliche Fische bestimmter Arten und bei Kaulquappen dermaßen, dass aus ihnen weibliche Individuen werden.

Im Experiment wurden Kaulquappen im Wasser mit einem Abbauprodukt eines Medikamentes gehalten, das ein Hormon ausschaltet. Das Ergebnis: Die Kaulquappen im sauberen Wasser entwickelten sich normal zu Fröschen, aus den Kaulquappen mit dem Medikament wurden Riesenkaulquappen.

Bedenklich sind die Ergebnisse, die an der Charité in Berlin ermittelt wurden. Dort hat man bei Mäusen Veränderungen an den Hoden festgestellt, deren Muttertiere mit einer umwelttypischen Konzentration an hormonaktiven Substanzen aus „Alltagsplastik“ beimpft hat.

Und noch ein drittes Beispiel: Diclofenac, der Wirkstoff des bekannten Medikaments Voltaren gegen Rheuma und Gelenkschmerzen. Es wird nur unzureichend im Körper genutzt. 70 Prozent davon gelangen unverändert aus dem Körper in die Kanalisation. Mittlerweile lässt es sich im Trinkwasser in geringen Konzentrationen nachweisen. Sicher, man müsste 4000 Kubikmeter davon trinken, um den Wirkstoff einer Tablette zu sich zu nehmen. Unbedenklich seien sie trotz ihrer geringen Konzentration zwischen 1/100 und 1/ Millionstel aber deshalb nicht, so hört man aus dem Umweltbundesamt.
Wissenschaftler vom Bayerischen Landesamt für Wasserwirtschaft beobachteten, dass Diclofenac bei Bachforellen Nierenschäden verursachten. Ihre Kollegen vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft in Bern entdeckten eine Immunschädigung bei ihnen. Und das bei den niedrigen Konzentrationen des Wirkstoffes, wie sie heute schon in Oberflächengewässern allgegenwärtig sind.
Nicht nur, wer an die Wirkung der Homöpathie glaubt, ist hier in der Klemme. Er nimmt nämlich eine unter homöopathischen Gesichtspunkten wirksame „Verdünnung“ des Medikaments zu sich – und das ein Leben lang.

Diclofenac ist kein Einzelfall. Nahezu alle Medikamente aus Therapeutik und Diagnostik, auch Kontrastmittel, landen in der Umwelt. Von den rund 3000 Medikamenten-Wirkstoffen können nur 180 nachgewiesen werden, für den Rest und die unzähligen Abbauprodukte müssen erst Nachweismethoden entwickelt werden. Die Gefahr dabei geht weniger von der einzelnen Wirksubstanz als mehr von dem Wirkstoff-Cocktail aus, so das Umweltbundesamt. Aufgrund der Zunahme des Medikamenteneinsatzes durch die alternde Gesellschaft wird eine Steigerung der Konzentration von Medikamentenwirkstoffen im Wasser in den nächsten 20 Jahren von 30 Prozent vorausgesagt.

Foto Gerd Altmann

Foto: Gerd Altmann

Oral zu verabreichende Medikamente werden dafür entwickelt, dass sie möglichst lange ihre Wirkung entfalten. Sie müssen unsere Magensäure-Schranke passieren können und sollen über den Dünndarm an die gewünschten Wirkstellen gelangen. Die Ausscheidung erfolgt über Nieren und den Dickdarm. Pharmaunternehmen bauen ihre Wirkstoffe nicht nach möglichen Umweltauswirkungen oder Auswirkungen in der „zweiten Welle“ beim Gebrauch von Trinkwasser zusammen. Eine „Grüne Pharmazie“, die sich an der Abbaubarkeit der Wirkstoffe orientiert und wie sie in Schweden noch am ehesten angestrebt wird, ist bei unseren Pillenversorgern kein vorrangiges Handlungsfeld. Unklar auch, wie Ärzte sich bei der Verschreibung von Medikamenten verhalten würden – pro Patient, pro Umwelt, pro Kosten senkend?

Unsere Klärwerke können diese Substanzen mit nur sehr aufwendigen Verfahren herausfiltern. Zu gering sind die Konzentrationen, zu teuer die Verfahren und es fehlen gesetzliche Vorgaben. Ozon, Aktivkohle und Nanofilter könnten helfen. Technische Vorsorge ließe sich durch Trennung der Fäkalien vom Abwasserstrom realisieren, eine bekannte Forderung aus alternativ denkenden Fachkreisen.
So bleibt es bislang an uns selbst, den Medikamentenverbrauch einzuschränken, damit er nicht wieder mit der zweiten Welle, zur Zeit noch in homöopathischen Dosen, auf uns einwirkt.

Viele Erkrankungen sind Zivilisationserkrankungen, verursacht durch unangepassten Lebensstil, Stress, unzureichende Ernährung und Bewegung. Das wäre ein Ansatzpunkt. Ein anderer ist, dass wir wenigstens die nicht aufgebrauchten Medikamente einer fachgerechten Entsorgung zuführen. Doch da trifft man auf wenig Gegenliebe bei den Apothekern.
Eine Umfrage des Frankfurter Instituts für sozial-ökologische Forschung ergab, dass 16 Prozent der Medikamentennutzer Arzneireste über das Klo entsorgen. 43 Prozent schütten Flüssigarzneireste dort hinein. Dagegen verhalten sie sich ökologisch korrekt bei der Entsorgung der leeren Glasfläschchen in die dafür vorgesehenen Glascontainer.

Bleibt die Frage, ob mit Medikamenten belastete Abwässer aus Kliniken so behandelt werden könnten, dass keine weitere Gefahr für Mensch und Umwelt zu erwarten ist. Technisch gesehen ist das teilweise möglich. Dies zumindest zeigt ein Pilotprojekt der RWTH Aachen, bei dem über verschiedene Verfahren der gesamte Abwasserstrom einer Klinik aufbereitet wird. Je nach pharmazeutischen Stoff konnten so 30 bis 99 Prozent an Wirkstoffen herausgefiltert werden.

Was getan werden müsste, ließt sich wie ein Wunschzettel:
  • Patienten müssten über die Umweltauswirkungen ihres Medikamenteneinsatzes aufgeklärt werden und sie müssten Möglichkeiten erhalten, ihre Restmedikamente fachgerecht zu entsorgen,
  • der Pharmahandel müsste ein effektiveres Rücknahmesystem einführen und aufrecht erhalten,
  • Arzeimittelhersteller müssten bei Neuentwicklungen den Faktor Abbaubarkeit und Umweltauswirkungen einbeziehen,
  • Ärzte müssten Entscheidungen auch zur umweltverträglichen Variante eines Medikamentes fällen können.
  • Jeder sollte seine gesundheitliche Verantwortung in Richtung Vorbeugung und Vorsorge ausrichten, um Medikamentenverwendung so weit wie möglich zu reduzieren, etwa durch alternative Präventionsmaßnahmen oder Behandlungsmethoden ohne Chemie.

Tonnenweise könnte das Wasser, das wir trinken, von Medikamenten entlastet werden ohne die Gefahren einer unfreiwilligen Homöopathie mit unbekannten (Neben)wirkungen in Kauf zu nehmen.